Corpus Delicti - Eine Exkursion

Am 1.10.2024 besuchten wir, der Deutsch Basiskurs unter der Leitung von Frau Gönner, sowie der Basiskurs von Frau Heiderich und der Leistungskurs von Herrn Kellermann, das Junge Ensemble Stuttgart (JES), um die Inszenierung von Juli Zehs Roman Corpus Delicti anzusehen. Zuvor hatten wir den Roman bereits im Unterricht gelesen, sodass das Theaterstück, inszeniert von Brigitte Dethier, eine hervorragende Ergänzung zum Unterrichtsstoff bot und uns die Möglichkeit gab, die thematisierten Figuren und Konflikte aus neuen Perspektiven zu erleben.

Juli Zehs dystopischer Roman thematisiert eine Gesundheitsdiktatur Mitte des 21. Jahrhunderts, in der Gesundheit als höchstes Gut gilt und das Leben der Menschen streng reguliert wird. Das System "Methode"

überwacht die Einhaltung strikter Gesundheitsvorschriften, um Krankheiten zu verhindern und die körperliche Fitness der Bevölkerung zu maximieren. Im Zentrum des Geschehens steht Mia Holl, die anfangs dem System treu ist, nach dem Tod ihres Bruders Moritz Holl jedoch immer mehr beginnt daran zu zweifeln und zur Gegnerin der Methode wird. Corpus Delicti stellt dabei den zentralen Konflikt zwischen der staatlich verordneten Gesundheit und der individuellen Freiheit dar.

Schon bevor das Stück überhaupt begann, wurde der Saal vom klinischen Weiß der Bühne dominiert und vermittelte sofort die kalte, distanzierte Atmosphäre des Methodenstaates. Der minimalistische und sterile Aufbau mit rechteckigen Vertiefungen und Erhöhungen im Boden unterstrich zudem die funktionale und emotionslose Struktur der Gesellschaft, die im Roman beschrieben wird. Insgesamt wirkte alles kühl, schlicht und zweckmäßig, wobei das einzige Möbelstück auf der Bühne ein Sofa war, auf dem die "Ideale Geliebte" saß, eine imaginäre Figur, die eine Art Verbindung zwischen Mia und Moritz darstellte.

Die Besetzung der "Idealen Geliebten" fanden wir besonders gelungen.

Sie verkörperte nicht nur Moritz' methodenkritische Ansichten, sondern redete Mia auch ins Gewissen und erinnerte sie immer wieder an die Werte der Freiheit und Individualität. Ihre schauspielerische Darstellung war sehr überzeugend: mit offenem Haar und einem weißen Gewand verlieh sie der Figur eine fast schon engelsgleiche Erscheinung, was sie für den Zuschauer noch irrealer wirken ließ. Im Theater spielte die "Ideale Geliebte" meiner Meinung nach eine noch zentralere Rolle als im Buch, da sie hier als Erzählerin fungierte und das Publikum durch Mias Gedanken und innere Konflikte führte.

Neben der Idealen Geliebten waren nur drei weitere Charaktere tatsächlich auf der Bühne zu sehen: Mia Holl,  Mias Anwalt Lutz Rosentreter, der sie bei einer Gerichtsverhandlung wegen Vernachlässigung ihrer Methodenpflichten vertrat, sowie Heinrich Kramer, Journalist und überzeugter Anhänger der Methode. Die Darstellungen von Mia und Rosentreter im Theaterstück entsprachen weitestgehend unseren Vorstellungen aus dem Roman. Mias Schauspielerin verkörperte ihre Entwicklung von der unsicheren Anhängerin der Methode zur entschlossenen Gegnerin sehr überzeugend, während der Schauspieler von Rosentreter genau wie im Buch beschrieben, als unsicherer, etwas unbeholfener, aber stets sympathischer Anwalt agierte. Ein Schauspieler, der jedoch von der Buchvorlage abwich, war Kramer. Im Theaterstück wirkte er zwar ebenso schick und arrogant wie im Buch, im Roman beschreibt Mia Kramer aber auch als jemanden mit "zwei Gesichtern" – einerseits ein strikter Verfechter der Methode, andererseits jemand, den sie in gewisser Weise bewundert. Diese Ambivalenz kam im Theaterstück nicht ganz so deutlich zum Ausdruck.

Generell orientierte sich das Theaterstück stark an der Romanvorlage.

Eine interessante Abweichung bot jedoch das Finale des Buches, die bereits zu Beginn des Stücks gezeigt wurde, wodurch dem Zuschauer eine Art Vorschau auf das „tragische Ende“ geboten wurde. Aus zeittechnischen Gründen wurden einige Szenen aus dem Buch geschickt gekürzt oder weggelassen. Zwei Elementen des Buches hätten wir uns jedoch trotzdem auf der Bühne gewünscht, da sie im Buch viel zur Darstellung der gesellschaftlichen Dynamik im Methodenstaat beitrugen.

Zum einen das Wächterhaus, das im Theaterstück gar nicht thematisiert wurde, im Roman aber die ständige gegenseitige Überwachung der Bewohner veranschaulicht und verdeutlicht, wie tief die Kontrolle des Systems in das private Leben der Menschen eingreift. Zum anderen hätten wir uns gewünscht, dass Mias wachsende Anhängerschaft in der Bevölkerung während ihrer Verhandlung, die im Buch eine wichtige Wendung darstellt, im Stück noch deutlicher zum Vorschein kommt.

Sehr angetan waren wir von der Umsetzung der Gerichtsverhandlungen sowie den Rückblicken und Mias Erinnerungen an ihren Bruder Moritz.

Diese wurden auf einer zentralen Leinwand im Hintergrund der Bühne, sowie mehreren Bildschirme links und rechts neben der Bühne visualisiert. Die szenische Umsetzung durch die Einbindung von Videos auf Bildschirmen verlieh dem Stück eine völlig neue Dimension, die fast schon cineastische Ausmaße annahm. Diese visuellen Elemente, kombiniert mit unterstützenden Sound- und Lichteffekten, ließen das Publikum die Szenen auf eine Art erleben, die so im Buch nicht möglich war. Gleichzeitig boten die filmischen Einblendungen auch eine gute Möglichkeit Mias inneren Konflikt sowie ihre Gefühlswelt für den Zuschauer anschaulich darzustellen.

Insgesamt hat der Theaterbesuch unserem Kurs sehr gut gefallen. Das Stück bildete einen gelungenen Abschluss unserer Unterrichtseinheit und eine schöne Ergänzung zum Buch, wir können es also nur weiterempfehlen.

Text: C. Kiefer

Zurück